US-Autorenkino in der Krise: Im Spannungsfeld zwischen Superhelden-Blockbusterisierung und Streamingdienst-Contentisierung erlebte der genuine Autorenfilm in den letzten Jahren in den Staaten einen veritablen Niedergang. Die Entwicklung ist dort nicht neu: Nach der Hochblüte zu New Hollywood-Zeiten versetzten die ersten Spektakel-Filme wie die „Star Wars“-Reihe künstlerisch-kreativen Bestrebungen mit Anspruch Ende der 1970er, Anfang der 1980er erste Dämpfer. In den 80ern und 90ern noch beliebte Mid-Budget-Filme ließen Filmemacher mit Autoren-Absicht noch eine Weile an der Peripherie des Film-Zentrums Hollywood überleben, bis Anfang der 00-er-Jahre der bald zum kommerziellen Nischen-Label verkommene „Independent-Film“ kreative Freiheiten bot. Doch wie ist die Lage in den letzten 5, 10 Jahren?

von Christian Klosz

Renommierte Filmemacher sind gezwungen, ihre Projekte von Streamingdiensten finanzieren zu lassen, die sie ablehnen, da sie ihre Werke auf der großen Kinoleinwand gezeigt wissen wollen – aber Kompromissbereitschaft ist der einzige Weg: Besser im Heimkino als gar nicht. Hinzu kommt eine politische, ideologische Einengung (Stichwort: Cancel Culture), die die künstlerische Freiheit immer mehr beschneidet. Nur wenige Filmemacher haben das Renommee, sich davon unbeeindruckt zu zeigen.

Warum nun dieser Prolog? Weil er unerlässlich ist, um die Bedeutung eines relativ neuen US-Filmemachers zu erklären, der vor 6 Jahren angetreten ist, die Filmwelt mit seinen ganz persönlichen Visionen zu beglücken, die sich weder an Trends oder Moden orientieren, noch Kompromisse eingehen: S. Craig Zahler.

Das Multitalent (er schreibt, inszeniert, filmt seine Filme, komponiert die Musik dazu, und ist nebenher als Comiczeichner und Romanautor tätig) betrat 2015 mit „Bone Tomahawk“ die Szenerie. Die Nachfolger „Brawl in Cell Block 99“ und „Dragged Across Concrete“ konnten zwar auch überzeugen, doch mit dem Erstling gelang Zahler eine wirklich großer Wurf. Es ist ein ganz klassischer Western, langsam im Erzähltempo, spröde, aber penibel beobachtet und ultra-realistisch – und durchsetzt mit brutalen Gewaltausbrüchen, die in solcher Direktheit von kaum einem anderen, aktiven Regisseur zu sehen sind. Zahler folgt dabei – obwohl er sich durchaus der etablierten Genre-Konventionen bedient – ganz dem Autoren-Credo, realisiert seine eigene kreative Vision ohne Abstriche. Möglich ist das auch durch ein Produktionsteam, angeführt von einem gewissen Dallas Sonnier („Cinestate“), das dem Regisseur alle erdenklichen Freiheiten gibt.

„Bone Tomahawk“ spielt im „Wilden Westen“ und handelt von einer Entführung durch einen grauenhaften Kannibalen-Clan: Das Leben im Städtchen Bright Hope wird empfindlich gestört, als die Frau von Arthur O’Dwyer (Patrick Wilson), Samantha (Lilly Simmons), der inhaftierte Rumtreiber Purvis (David Arquette) und der Deputy-Sheriff aus dem Ort verschwinden. Sheriff Hunt (Kurt Russel) versammelt eine Gruppe williger Männer, außer ihm noch John Brooder, Deputy-Sheriff Chicory (Richard Jenkins) und – trotz seines gebrochenen Beins – Arthur O’Dwyer, um sich auf die Suche nach den Entführten zu machen. Die Reise führt sie durch die Wildnis, lässt sie auf menschliche und naturbedingte Gefahren treffen – und wirft sich schließlich in die Arme eines brutalen Native-Volks, das ihre Freunde gefangen hält – und bei Bedarf aufisst.

Der Film folgt den Regeln des (Italo-)Western und stellt zudem die klassische Heldenreise dar, in der eine Gruppe Menschen sich mutig einer übermenschlichen Gefahr in den Weg stellt, die Angst, Leid und Schrecken verbreitet. Das Faszinierende an „Bone Tomahawk“ ist weniger diese doch sehr klassische Herangehensweise, sondern seine stilisierte Umsetzung und dramaturgische Ausschmückung. Zahler gelingt es, echte Typen zu kreieren, eigenständige und – willige Charaktere, die zudem großartig dargestellt werden. Heraus sticht dabei Richard Jenkins mit einer schauspielerischen Meisterleistung, für die er 2016 völlig zurecht für den renommierten Independent Spirit Awards nominiert wurde (übrigens ebenso wie Zahler für sein Drehbuch).

Wer allerdings zu einem nervösen Magen neigt, sollte die Finger (oder Augen) von „Bone Tomahawk“ lassen: Gerade gegen Ende schraubt Zahler das Brutalitäts- und Ekellevel ordentlich in die Höhe, als wir etwa Zeugen werden, wie die Kannibalen Purvis töten, in der Mitte auseinanderhacken, abschlachten – und schließlich verspeisen. Ob diese Grenzüberschreitungen wirklich nötig sind, mit denen Zahler all seine Werke würzt? Ja, denn es sind unter anderem genau diese directorial trademarks, die ihn zum genuinen Filmautoren machen, seinen eignen, unverkennbaren Stil kennzeichnen – und ihn so einzigartig und seine Filmkunst originell und originär machen: Alles in allem ein grandioser Film, der alle Attribute besitzt, die ein Meisterwerk kennzeichnen.

Bewertung:

Bewertung: 10 von 10.

(97/100)

„Bone Tomahawk“ ist seit 20.5. auf Amazon Prime (Abo) zu sehen.